himmelssplitter

 
 

Treffpunkt Schreibtisch

Drei verschiedene Ebenen werden hier zu einem Ganzen vereint. Die Zeichnungen des Kindes, die Gedichte des Vaters, die philosophischen Aussagen eines Mathematikers. Sinnlich-Erlebtes, Abstrakt-Gedachtes wird zur besonderen Schnittstelle, zum Ort der Poesie. Die Mitspieler sind Hubert Theler, der Dichter, Rebecca Vittoria Theler, die Tochter und George Spencer-Brown, der Mathematiker.
Setzte sich der Vater morgens an den Schreibtisch, wolle die damals dreijährige Tochter auch „arbeiten“. Auf den leeren Blättern, die er ihr gab, entstanden skurrile Szenen: „Maus mit Käse“ – faszinierend realistisch, „Kinder mit Ballon“ als zeichnerisches Kürzel, für das sie manch zeitgenössischer Künstler beneiden würde, „die Blume“ – mit der Grazie einer typisch kindlichen Strahlenfigur, „die Schildkröte“ – in überlegenem Schwung oder „der Schmetterling“ – an vorgeschichtliche Felsritzzeichnungen erinnernd. Die kindlichen Linien vermögen aber auch das Monster einer Krähe zu schmieden. Der Stein, einmal „mit der sterbenden Blume“, „sich vor der Blume verneigend“ oder als „Himmelssplitter“ wird zum poetischen Bild.

Die Erzählkraft ihrer Zeichnungen werden zu Ankerpunkten für die Gedichte des Vaters. Er entdeckt in ihnen Urformen, interpretiert -  nachdenklich, pathetisch, witzig, erotisch, er spielt mit den Worten, er illustriert mit seiner Lyrik.

Für die Augen des Erwachsenen sind die Kinderzeichnungen voller Rätsel. Sie sind immer die Übersetzung einer konkreten Idee. Unser an der Abstraktion geschultes Auge versucht sofort Unverständliches zu entschlüsseln. Das Betrachten einer Kinderzeichnung erfordert ein grosses Mass an Einfühlung und eine Auseinandersetzung mit der kindlichen Vorstellungskraft.

Die Welt des Kindes verschmilzt mit der Welt des Dichters und trifft auf die Welt des Mathematikers in dem Bedürfnis, die Dinge in eine transzendente, allgemeine Form zu bringen, indem sie versuchen, die Welt zu verdichten, unterschiedliche Erfahrungs- und Ausdrucksebenen zu verbinden – in diesem Sprung entsteht Grossartiges.

Dr. Anna-Maria Eder