Zum Gedichtband Wäglätä-Fusswege
Ein paar Worte, ein Bild, eine Pointe,
höchstens ein Satz...
Das Haiku ist ein japanischer Dreizeiler
zu fünf, sieben und wieder fünf Silben.
Er formuliert knapp, ohne Rhetorik,
schafft ein Bild aus den kleinen Dingen,
ohne grosse Erklärungen.
Im Haiku liegt die Möglichkeit
einer pointierten Schreibweise ohne
spektakuläre Inhalte zu transportieren,
sondern vielmehr Augenblicke,
Erinnerungen poetisch zu fassen.
Das Walliserdeutsch ist keine städtische Sprachform,
sondern eine Umgangssprache
mit alten Formen und traditionellen Bildern.
Das Aufzeichnen dieser Sprache ist der Versuch,
ein ungewöhnliches Klangbild zu erfassen.
Es ist ein Festhalten von etwas;
das sich durch neue Lebensformen verändert
und auch verliert – ähnlich der Kindheit.
Der Klang der walliserdeutschen Haikus,
der als eine eigenwertige, poetische Dimension
angesehen werden kann,
soll verständlich und zugänglich gemacht werden,
indem ihm eine hochdeutsche Übertragung
mit all ihrer nachempfindenden Sprachkraft
gegenübergestellt wird.
Wie beim klassischen Haiku ergeben sich
Gruppierungen zu den Jahreszeiten.
Naturabreibungen trennen die Abschnitte:
Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Das Thema sind Erinnerungen
an die Kindheit, an die Berge,
an eine Welt in einer anderen Lebensform.
Es ist ein Riechen, Schmecken
voll sinnlichen Nachempfindens.
Der herbe Geschmack des Löwenzahnsalat
oder der köstliche Heidelbeerkoch,
die Heuernte, die Weinlese,
der gebratene Apfel im Winter, alte Lieder,
das sind die schlichten Motive dieser Lyrik.
Dr. Anna-Maria Eder